Ein Flugticket nach Tokio und zurück: 830 €. U-Bahn fahren: 2 €. Ein Cocktail mit Blick über die nächtliche Stadt: 18 €. Mit Tränen in den Augen über das Häschen-Topping beim Cappucino im Maid-Café lachen, japanisches Essen ausprobieren, die Kirschblüte live erleben, Neues kennenlernen: Unbezahlbar.
Wie riesig Tokio ist, spürst du ganz besonders im ersten Moment und auf den letzten Blick. Egal ob du das erste Mal U-Bahn fährst oder zwischen den Hochhäusern in Shinagawa durchläufst, zum ersten Mal einen Blick in die Spielhöllen oder ein Kaufhaus wirfst. Alles ist groß und voller Menschen. Und dann noch mal auf den letzten Blick: Wenn dein Flugzeug in Haneda startet und in einer großen Schleife über die Stadt fliegt. Dann wird dir auch bewusst, wie wenig Zeit 48 Stunden tatsächlich sind, um die Stadt nur annähernd kennenzulernen. Ich glaube, wir haben das Beste draus gemacht. Meine fünf Highlights:
1. U-Bahn fahren
Das erste was mir beim Betreten der U-Bahn-Station am Flughafen Tokio-Narita auffällt: Die Bahnsteige und Züge sind blitzsauber. Kein Müll, kein Dreck, keine Zigarettenstummel. Nicht ein Kaugummipapier, nicht ein plattgetretener Kaugummi auf dem Boden. Die Wände sind sauber, von Graffitis oder Schmierereien gibt es hier weit und breit keine Spur. Ein ähnliches Bild finde ich später an allen anderen U-Bahn-Stationen in der Stadt. Als wir am späten Vormittag vom Flughafen in die Stadt fahren, ist der Zug angenehm leer. Eine Ausnahme, wie ich schnell feststellen werde.
Später, als wir zur Rush-Hour unterwegs sind, bietet sich uns ein ganz anderes Bild. Nun herrscht auf den Bahnhöfen reges Treiben: Tausende Menschen navigieren sich durch das Gedränge, jedoch ohne einander zur berühren. Keiner drückt, keiner schubst, keiner drängelt, keiner rempelt den anderen an. Im Gegenteil: Man stellt sich schweigend in Warteschlangen, die sich ordentlich und in drei Reihen vor jeder Zugtür bilden. Im Zwei-Minuten-Takt halten die U-Bahnen, fahren oft auf Sekunde genau ein und aus.
Drinnen ist es eng, Körper klebt an Körper. Manche Leute schlafen oder dösen. Andere tun so. Viele sind per Kopfhörer in einer völlig anderen Welt. Wer seine Hände freibekommt, tippt auf dem Smartphone herum oder starrt stumm hinein. Man spricht nicht, telefoniert nicht. Um andere nicht zu stören. Küssen ist tabu. Wer erkältet ist, trägt einen Mundschutz. Auch das, um andere nicht anzustecken.
Was für mich als Touristin irritierend wirkt, ist alles eine Frage der Höflichkeit. So gehört es einfach zum guten Ton sich nicht in ein Taschentuch zu schnäuzen und anstelle dessen die Nase hochzuziehen. Und das gilt auch für Fremde – was ich am eigenen Leib erfahre, als ich mich bei meinem Aufenthalt im Sommer erkälte. In der Apotheke reicht mir die Apothekerin neben der bestellten Flasche Hustensaft auch ein Paket Hygienemasken über den Tresen: „You should wear this“ sagt sie freundlich, aber bestimmt. Nun gut, denke ich. So kann das Taschentuch (was es hier eh nicht zu kaufen gäbe) später in der U-Bahn auch gar nicht erst als Müll auf dem Boden landen. Obwohl es dort wohl eh binnen Sekunden von einer Reinigungskraft mit Besen oder langer Greifzange entfernt worden wäre.
2. In einem Kapsel-Hotel übernachten
Das First Cabin Hotel in Akihabara, in das wir wenige Stunden nach der Landung einchecken ist ein Kapselhotel. Tokio ist eine gigantische Stadt, in der rund 9,5 Millionen Menschen auf etwa 600 Quadratkilometern zusammenleben. Das ist beeindruckend. Im Vergleich dazu verteilen sich etwa 3,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner auf 900 Quadratkilometer. Man kann sich vorstellen, dass Wohnraum hier rar und Erfindungsreichtum gefragt ist. Infolge dessen ist der Trend der Kapselhotels vor wenigen Jahren von China herübergeschwappt. Manche nennen es auch „Wabenhotel“, „Schließfachhotel“ oder – ganz makaber – „Sarghotel“. Warum, sehe ich sofort, als ich auf meiner Etage aus dem Aufzug steige. Vor mir ein langer schmaler Gang, rechts und links reihen sich Kabinen aneinander. Nicht breiter als ein Bett und gerade so hoch, dass man bequem darin sitzen kann.
Die Schuhe ziehe ich noch im Vorraum aus, immerhin kann ich mein Gepäck mit zur Schlafstätte nehmen. Doch das dafür vorgesehene Fach ist so klein, dass ich meinen Koffer auf dem Gang stehen lassen muss. Die durchschnittliche Japanerin reist wohl eher mit kleinem Gepäck, denke ich. Auf dem Bett finde ich mein Willkommenspaket vor: Zahnbürste, Ohropax, Handtücher und Hausschuhe und ein Schlaf- oder Hausanzug. Der leider viel zu klein für mich ist. Da muss mein eigener Schlafanzug herhalten. Dafür ist meine Kabine ausgestattet mit einem Radio, einem Fernsehgerät, Kopfhörern und Steckdosen. Immerhin kann auch mein Handy über Nacht wieder Energie tanken.
Die Ohropax sind nötig, da meine Kapsel keine richtige Tür hat, sondern nur eine Jalousie, die ich bis etwa 50 cm über dem Boden herunterziehen kann. Es erinnert mich an den – ich gebe zu, etwas luxuriösen – Schlafsaal einer Jugendherberge. Einen Frauen-Schlafsaal natürlich. Denn in Asien gilt immer noch eine strikte Trennung der Geschlechter im öffentlichen Raum. Daher findet man in den Kapselhotels separate Etagen für Frauen und Männer. In unserem Hotel sind sogar die Aufzüge nach Geschlechtern getrennt: Sie stellen sicher, dass Frauen und Männer auch nur in den für sie bestimmten Bereich gelangen.
Auch das Bad ist ein Erlebnis: Ein schmaler Raum, an beiden Längsseiten Spiegel und Waschtische. Fünf auf jeder Seite. Davor jeweils ein kleiner Hocker, auf dem man sitzt, um sich zurechtzumachen. Um mich herum nur zierliche kleine Japanerinnen, die sich – in ihren zarten Hausanzug gehüllt – vor dem Spiegel sorgfältig schminken. Auf mich wirkt alles sehr exotisch. Aber offensichtlich blicken auch die Japanerinnen mit etwas verwundert über die große europäische Frau, die in einem fremdartigen Schlafanzug in viel zu kleinen Pantoffeln auf dem viel zu kleinen Hocker vor dem Spiegel sitzt und nur ohne große Sorgfalt hastig Wimperntusche und Eyeliner aufträgt, nach dem sie sich viel zu ungeschickt unter der viel zu kleinen Dusche angestellt hat.
3. Ein Maid-Café besuchen: „Can you draw a rabit, please?“
Vor meiner Reise nach Japan wäre mir zu dem Land wahrscheinlich nicht viel eingefallen: Sushi, Hiroshima und natürlich Mangas. Tatsächlich sind Mangas und Animes (Comics) fester Bestandteil der japanischen Kultur. Man kann sie dort in jedem Laden und an jedem Kiosk kaufen, jedes Kind kennt sie. Kein Wunder, dass rund um die Jahrtausendwende in Akihabara Cosplay-Restaurants aufkamen, die bis heute nicht mehr aus der Stadt wegzudenken sind. Beim Cosplay stellt man eine Figur – aus Manga, Anime, Comic, Film oder Computerspiel – durch Kostüm und Verhalten möglichst originalgetreu dar.
Direkt an meinem zweiten Tag in Tokio führt uns der Weg in eines dieser Restaurants, einem Maid Café. Am Eingang begrüßen uns junge Frauen in Dienstmädchenuniformen – oder sind es Schuluniformen? Sie führen uns zu unserem Tisch und schnell wird klar, dass wir uns in einer Art Rollenspiel befinden: Wir sind Mistress und Master, die Damen bedienen. Das Rollenverhältnis ist klar verteilt. Auf der Speisekarte entdecke ich alles (immerhin auch auf Englisch), was ich von einem normalen Café erwarte: Kaffee und Tee, Limo, Kuchen und Desserts. Was ich jedoch nicht erwartet hatte ist, dass meine Begleitung plötzlich die Bedienung darum bittet, mit Schokoladensoße ein Häschen auf den Milchschaum des Cappuccino zu zeichnen – was sie promt auch tut. Ich beobachte die Szene mit Erstaunen und lache kurz danach herzlich über die wirklich unerwartete Bitte meines Begleiters. Erst als ich mich erholt habe, erklärt er mir, dass es in diesen Cafés so üblich sei, dass die Kellnerinnen die Bestellung des Kundens mit niedlichen Designs schmücken und über unseren Köpfen sogar ein großes Schild auflistet, unter welchen Zeichnungen die Kunden wählen können. Fotos machen darf man von den Kunstwerken im Übrigen nicht, ebensowenig von den Cafés und den Kellnerinnen.
Zugegeben, es ist ein Konzept, das mich überfordert. Maid Cafés wurden ursprünglich entworfen, um den Fantasien männlicher Otaku (Fans von Anime, Manga) gerecht zu werden. Allein bei diesem Gedanken möchte ich mich schütteln, so befremdlich finde ich das. Auch wenn das Mädchen-Café-Phänomen heute nicht nur mehr männliche Manga-Fans anzieht, sondern auch Touristen, Paare und Frauen, hinterlässt der Besuch dort einen fahlen Beigeschmack. Aber der Trend gehört zu Tokio dazu, wie der Eiffelturm nach Paris. Und wenn ihr den Kopf für einen Moment ausschalten könnt: Geht hin, erlebt das Café als Teil der Kultur des Landes.
4. Bei Nacht über Tokio schauen: „You pay for the view“
Bei Nacht verwandelt sich Tokio in ein Lichtermeer. Besonders beeindruckend ist der Blick von hoch oben über die Dächer der Stadt. Wir entscheiden uns für einen Drink im Top of Shinagawa, einer Bar im 49. Stock des Prince of Shinagawa Hotels. Zugegeben, der Cocktail ist mittelmäßig („da schmeckte selbst der Gin Tonic auf dem Lufthansaflug besser“) und teuer. Aber die Sicht ist umwerfend, atemberaubend („You pay for the view“) und entschädigt einfach für alles.
5. Die Kischblüte im Ueno-Park beobachten (Hanami)
In vielen Reiseführern heißt es, die Kirschblüte entfalte eine magische Wirkung, die sich nur schwer in Worte fallen lasse. Ich kann dem einfach nur zustimmen. Wenn ihr je die Gelegenheit dazu habt: Zögert nicht, fahrt hin und lasst Euch mitreißen. Alles ist eine Frage des Timings: Der beste Monat, um die Kirschblüte zu erleben, ist der März, manchmal auch der April und der Mai. Je nach Region und Jahr. Als wir zu Beginn unserer Japan-Reise in Tokio ankamen, fingen gerade die ersten Knospen an zu blühen. Vereinzelt stolperten wir im Park über blaue Plastikplanen, auf denen Menschen zusammen saßen. Eine Woche später, auf dem Rückweg, war die Stadt wie verzaubert: Rosa Blütenblätter überall und noch viel, viel mehr Menschen in den Parks. Die Kirschblüte ist ein Highlight für Japaner: Dann treibt es sie raus in die Parks und Gärten zum traditionellen „Hanami“ („Blüten betrachten“). Hanami ist ein fester Bestandteil der japanischen Kultur. Der ganze Park ist dann voll von blauen Plastikplanen und Kartons, auf denen Getränke und Essen steht. Die Menschen sitzen dort bis spät in die Nacht mit Freunden und Kollegen zusammen, essen trinken und feiern so den Beginn des Frühlings.
Am besten, man geht in den frühen Morgenstunden durch den Ueno-Park. Im Laufe des Tages sammelt sich im ganzen Park unglaublich viel Müll an: Plastikdecken, Getränkedosen, Plastikbehälter, Essensreste, leere Flaschen liegen knöchelhoch auf den Wegen und Wiesen. Die riesigen Mülleimer (die schon extra dafür aufgestellt werden, normalerweise gibt es keine Mülleimer in den Parks) sind spätestens am Mittag eines Tages hoffnungslos überfüllt. Es bleibt ein Bild von einem bemerkenswerten Kontrast: Die Allee von Kirschbäumen, die rosa und weißen Blüten, die sich von den dunklen Baumstämmen und dem blauen Himmel abgrenzen – der Boden ist bedeckt mit Müll. Erst kurz vor Sonnenaufgang kommen die Putzkolonne und Abfuhr, die das Chaos beseitigen. Für ein paar Stunden ist der Park sauber und leer. Fast idyllisch. Ich stehe minutenlang, schweigend auf einer Wegkreuzung und gucke. Gucke und versuche die Atmosphäre in mir aufzunehmen.
Und es ist ein hervorragender Zeitpunkt, um Menschen zu beobachten: Immer noch sind viele Leute auf den Beinen. Es treffen die unterschiedlichsten Typen aufeinander. Partynasen und Frühsportler, Schnapsleichen und Müllmänner. Männer, die nach einer langen Nacht heimwärts wanken oder gerade ihr Haus verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Die Grenze ist fließend, habe ich mir sagen lassen. Das Picknick wird oftmals vom Arbeitgeber organisiert und die Angestellten treffen sich direkt nach Feierabend im Park, um gemeinsam zu essen und zu trinken. Es kommt vor, dass sie dann an Ort und Stelle auf der blauen Plane einschlafen, in Anzug und Krawatte, im Kostüm und in Highheels. Wir sehen sie aufwachen und aufstehen. Ob sie dann den Heimweg antreten oder direkt ins Büro gehen um weiter zu arbeiten ist unklar.
Und, was bleibt?
Für mich war die erste Japanreise eine Erfahrung der neuen Dinge: Ich habe jeden Tag ein neues Essen ausprobiert, bin zum ersten Mal in diesem Jahr ohne Jacke durch die Straßen gelaufen, bin zum ersten Mal im Linksverkehr Auto gefahren, habe zum ersten Mal einen Reisepass benutzen müssen, bin zum ersten Mal Langstrecke geflogen. Ich habe meine ersten Schriftzeichen gelernt und zum ersten Mal die Kirschblüte in voller Pracht erlebt.
Liebe auf den ersten Blick war das bei Japan und mir nicht. Ich hatte gedacht, es wäre anders. Hatte mich auf Bilderbuchlandschaften eingestellt und lange auf den Moment gewartet, in dem ich mich umschaue und denke „ja, das ist es“. Mittlerweile mag ich das Land trotzdem sehr gerne. Nicht wegen der Architektur und der Landschaft, sondern, weil alles anders ist. Weil es viel zu entdecken gibt, weil es schöne und liebevolle Details bereithält.