Tiflis: Sameba-Kirche

Sonntag, 30. April 2017. Am Tag wirkt die Davit Aghmashenebeli Avenue genau so sureal wie bei Nacht. Im Reiseführer habe ich gelesen, dass sie bekannt ist für die „klassische Architektur aus dem 19. Jahrhundert“ und zu den schönsten Straßen im historischen Tiflis gehört. Bei mir hinterlässt sie gemischte Gefühle. Vor allem auch, wenn ich an die anderen Stadtteile denke. Ich komme nicht darum herum, mich wie in einer Filmkulisse zu fühlen. Die Fassaden sind restauriert, die klassischen Stilelemente passen sich perfekt ein. Blumentöpfe sind arrangiert, alles ist sauber. Die Einrichtung der Kaffees und Restaurants ist modern, europäisch anmutend. Alles ist sauber und irgendwie ordentlich aufeinander abgestimmt. Zu perfekt. Als ob sich die Straße für uns europäische Touristen herausgeputzt hat. Es sieht alles hübsch aus, so dass du einfach an der Straße sitzen und das Treiben genießen kannst. Wein, Karaoke, das Essen ist so, dass du dich fast wie zu Hause fühlst. Nur wirkt alles etwas künstlich und fehl am Platz. Ein Blick in die Seitenstraße reicht, um zu erkennen, dass alles nur Fassade ist. Wenn du willst, kannst du die Stadt durchqueren und siehst nur das gemütliche, restaurierte Tiflis. Wenn du die Seitenstraßen wählst, siehst du, was dahintersteckt. Was die Stadt wirklich ausmacht.

Von der Davit Aghmashenebeli Avenue aus ging es weiter in Richtung Sameba-Kathedrale. Die Kathedrale liegt auf einem Hügel im Stadtkern von Tiflis und ragt so hoch aus dem üblichen Stadtteil hervor, dass man sie eigentlich von jedem Ort aus sieht. Auf dem Weg dorthin bekommen wir einen Einblick in die „dunkle Seite der Stadt“. Wellblechhütten, kaputte Autos mit platten Reifen, Müll. Graffiti an den Wänden, Häuser mit zerbrochenen Fenstern, die nur notdürftig mit Planen oder Tüchern verhängt sind. Bröckelnde Fassaden und Balkone, bei denen du dir sicher bist, dass sie jeden Moment einfach abbrechen und auf die Straße fallen.

Und dann kommt wieder dieses „von jetzt auf gleich-Erlebnis“. Von jetzt auf gleich stehen wir auf dem Vorplatz der Sameba-Kathedrale. Mit Restaurants, kleinen Läden für Touristen mit Süßigkeiten und Blumen im Angebot, Polizisten, die den Verkehr regeln, tausende Autos. Neu und alt. Porsche und Ladas. Darüber erhebt sich die mächtige Kathedrale. Die Sameba-Kirche ist eine der Hauptkirchen der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche und noch relativ neu: Sie wurde zwischen 1996 und 2004 nach Plänen des Architekten Artschil Mindiaschwili erbaut.

Beeindruckend. Noch beeindruckender ist es, durch das Tor am unteren Ende des Geländes zu gehen. Wenn du unten an den Treppen zur Kathedrale stehst, siehst du nur das goldene Kreuz auf dem Dach. Mit jeder Stufe, die du höher steigst, scheint die Katherdale ein Stück von unten aus dem Boden zu wachsen, bevor sie in ihrer vollen Größe vor dir steht. Ganz klein stehe ich davor und bestaune ehrführchtig dieses riesige Gebäude, das dort in den Himmel ragt. Eine weitere Kirche, wie schon so viele, die wir gesehen haben, denke ich und betrete den Innenraum. Pustekuchen. Während wir in Mzcheta schon einen Eindruck von der orthodoxen Hochzeitsliturgie bekommen konnten, wurden wir heute Zeuge der Taufzeremonie.

In der Mitte der Kirche ist ein Rechteck mit Absperrgittern abgetrennt. In diesem Bereich stehen drei Taufbecken. In einem der Seitenschiffe warten dutzende Familien drauf, an die Reihe zu kommen. Vorn angekommen, führt sie ein Priester zu einem der Becken, wo ein anderer Priester das Kind in Empfang nimmt und es in das Taufbecken taucht: Erst mit dem Kopf, dann mit den Füßen. Das Ganze wiederholt er noch zwei Mal. Die Familie steht drum herum und macht Fotos. Im Anschluss daran lotst der Priester sie an den anderen Rand des Bereiches gelotst, wo er das Kind salbt.

Es ist kein Vergleich zu den katholischen Taufen, die wir hier in Deutschland kennen. Keine Zeit für Ruhe. Hektik. Die ganze Zeremonie dauert nur wenige Minuten. Das Kind ist eines von hunderten, das heute hier getauft wird. Die Familie steht drum herum und nimmt alles mit dem Handy auf. Touristen stehen drum herum und gaffen neugierig. Eine Putzfrau läuft ständig zwischen den Taufbecken her und wischt das Wasser vom Boden auf. Es ist wuselig, chaotisch. Wenig besinnlich.

Nach einer Weile verlassen wir die Kirche wieder und sitzen noch eine Weile auf den Stufen vor der Kathedrale. Wir beobachten die Familien, die mit ihren Kindern auf dem Weg zur Kirche sind oder wieder nach draußen kommen.

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