Teneriffa: Inside World – Outside World

Die Sonnenstrahlen brechen sich im Meer, die Palmen bewegen sich im Wind, am Horizont sind die Berge der Nachbarinsel La Gomera zu sehen. Der Blick von der Terrasse unserer Finka könnte mit den Bildern aus einem Reisekatalog locker mithalten. Vom Pool aus gesehen ist das der perfekte Urlaubsort.

„Ach, in diesem Jahr nichts Besonderes. Wir mieten uns zusammen mit Freunden eine Finca auf Teneriffa und hängen eine Woche lang zusammen in der Sonne ab“, sage ich auf die Frage, wohin denn unser nächster Urlaub gehe. Verständliches Nicken. Neidisches Seufzen. Interessierte Nachfragen.

Während Myanmar als Reiseziel (oder besser noch: als Flitterwochenziel) eher auf Unverständnis in der breiten Masse stößt, hat man als Durschnittsdeutsche*r eine recht genaue Vorstellung davon, wo Teneriffa liegt und was einen dort erwartet. Reisekatalogbilder sind sofort präsent, der dazugehörige entsprechende Small Talk fällt leicht:

  • „Ach wie schön“,
  • „Da war ich (wahlweise: „meine Mutter“, „mein bester Freund“, „der Hund der Cousine“) letztens auch“,
  • „Da wollte ich immer schon mal hin“
  • „Ein wirklich tolles Klima. Nicht zu warm und nicht zu kalt.“
  • „Du musst nachher unbedingt Bilder zeigen“.

Irgendwo habe ich gelesen, dass jährlich etwa 800.000 Deutsche ihren Urlaub auf der Kanareninsel verbringen (in diesem Jahr überholen wir sogar die Briten) und dass jeder vierte Euro, der in Deutschland für Urlaub ausgegeben wird zusammen mit den Touristen auf den Kanaren landet. In diesem Jahr sind wir Teil dieser großen Show.

 

The Inside World
Es ist ein „Handy-Schlüssel-Kreditkarte-check-alles-andere-kann-man-kaufen-Urlaub“. Die Vorbereitungen darauf fallen entsprechend knapp aus. Die Koffer (jaja) werden erst kurz vor der Abfahrt gepackt. Leichtes Gepäck reicht, selbst der Reisepass kann getrost zu Hause bleiben. Google wird so gut wie gar nicht bemüht, denn Anfragen à la „Wo kann ich eine SIM-Karte kaufen“ ergeben sich seit dem Wegfall der Roaminggebühren in Europa von allein. Der Handyempfang auf der Insel ist hervorragend, so dass wir auch im Vorfeld keine Gedanken an die Wegstrecke vom Flughafen in die Finca verschwenden müssen. Im Vergleich zu dem Zwölf-Stunden-Flug nach Japan, ist auch der Mittelstreckenflug ab Düsseldorf ein Katzensprung. Mit einem Buch komme ich locker aus. Am Flughafen Teneriffa-Süd weisen die Schilder auf Deutsch in Richtung Ausgang, die meisten Menschen hier sprechen ein ganz passables Englisch, wenn nicht sogar Deutsch. Die Autos fahren auf der „richtigen“ Seite, die Produkte im Supermarkt ähneln sich denen in deutschen Supermärkten. Beinahe nahtlos kann das Leben von zu Hause auch hier auf der Insel einfach weitergehen. EU sei Dank!

Auch ansonsten wird es ein durchschnittlicher Urlaub: „Jeder macht nur das, was er oder sie will“ lautet die Devise. Der Plan ist es, eine Woche lang mal so richtig abzuschalten. Dass mein Handy am zweiten Tag beim Klettern kaputt geht, ist dafür nur hilfreich: Ich bin komplett abgeschnitten von zu Hause, von den Nachrichten, von den Pfadfindern, vom „Immer erreichbar sein“. Keine Whats-App, kein Facebook (Poste ich ein Urlaubsbild oder nicht? Wenn ja, welches?), kein Hörbuch. Meine Bücher, meine Kamera müssen ausreichen, um mich zu beschäftigen.

Die wichtigste Entscheidung: Gehe ich heute zum Pool oder zum Strand? An welchen Strand? Lege ich mich auf den Bauch oder den Rücken? Trinke ich einen Cocktail oder ein Bier? Was ziehe ich an? Was möchte ich essen? Alles andere ist zweitrangig. Mein Kopf fährt runter, mein Herz geht auf: wenn ich die Wellen am Strand rauschen höre, abends am beleuchteten Pool entlang gehe oder beim Duschen unter freiem Himmel den Blick über das Meer schweifen lasse.

Eine gemeinsame Tour durch die Berge ist drin, ebenso wie ein Besuch in La Laguna, la Orotava und Puerto de la Cruz. Abends dann: Sterne gucken auf dem Teide. Über den Wolken, da wo der Sternenhimmel unendlich ist. Kein Licht, keine Menschenseele, nur ein paar deutsche Hobbyastronomen, die uns durch ihr Teleskop blicken lassen und uns erklären, was wir am Himmel sehen. Die Abende sind lang, das Essen ist gut, die Stimmung entspannt.

Ein kleines Highlight: Fronleichnam in La Orotava. Corpus Christi gilt als der zweitschönste Festtag (ach was sag ich: Festwoche, Festmonat!) auf den Kanaren und ist mittlerweile weit über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt. Die Fronleichnamsprozession findet hier genau eine Woche nach dem deutschen Fronleichnamstermin statt und zieht über kunstvolle Blumen- und Lavasandteppiche durch die ganze Stadt. Wie es der Zufall will, sind wir am Donnerstagnachmittag zur rechten Zeit am rechten Ort. Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind gerade mit ihren Teppichen fertig geworden, andere in den letzten Zügen. Und noch ist die Prozession nicht vorbei, so dass wir die Kunstwerke noch bestaunen können. Ein weiteres Postkartenmotiv, das ich mit meiner Kamera festhalte und als Erinnerung mit nach Hause nehme.

 

The Outside World
In die Umgrenzungsmauer unserer Finca ist eine Tür eingelassen. „To the Outside World“ steht daneben. Was dahinter ist, kann ich nur vermuten. Vielleicht ein Weg, vielleicht ein Durchlass zur Bananenplantage neben an. Vielleicht die Müllcontainer. Nachschauen wollte ich lieber nicht so genau. „Nicht genau hinzuschauen“ ist das erste, was man als Tourist*in lernen muss, sobald man auf der Insel gelandet ist. Vor allem, wenn man auf der südlichen Inselhälfte untergebracht ist.

Mit dem Auto geht’s vom Flughafen direkt zur Finca, wo der Postkartenausblick wartet. Über die staubigen Straßen, vorbei an den großen Bettenbunkern, der kargen Steinlandschaft, dem Müll und Schrott, der überall herumliegt, den riesigen Bananenplantagen. Die kanarischen Bananen werden später in den Supermärkten auf dem spanischen Festland verkauft. Bis nach Deutschland kommen sie nicht, denn wir Deutschen bevorzugen Bananen vom ganz anderen Ende der Welt. Einmal auf der Finca bekommt man von dieser Außenwelt nicht mehr viel mit. Während dort die Landschaft vertrocknet und verdreckt, ist sie hier sorgsam gepflegt und gehegt. Ich will gar nicht wissen, wie viele Liter Wasser am Tag in die Blumen- und Gemüsebeete fließen.

In den Städten schieben sich die Touristen durch die Gassen und vor den, von Tripadvisor empfohlenen Restaurants bilden sich lange Schlangen. Wer vorher nicht reserviert, hat es schwer, einen Tisch zu bekommen. Der Sand an den Stränden ist so heiß, dass man sich zwangsläufig eine Liege und etwas Schatten mieten muss, um nicht zu verbrennen.

Auf dem Weg ins Wasser wate ich zunächst durch Müll, der sich im seichten Wasser absetzt. Nichts Großes, das den idyllischen Anblick des Strandes und des Meeres stören würde. Dafür lauter Kleinigkeiten: Plastik-Strohhalme, Plastik-Verschlüsse, Plastik-Flaschendeckel. Eine Dusche wird danach dringend notwendig, weniger wegen des Salzes auf der Haut als wegen der Plastik-Teilchen, die überall kleben. Zwangsläufig kommen mir die EU-PLäne zur Vermeidung von Plastik-Müll in den Sinn.

Kaum im Wasser angekommen, pfeift einen der Bademeister auch schon zurück: zu weit draußen, zu nah an der Absperrleine, zu dicht an den Felsen und überhaupt: nicht im sicheren Bereich. Wer weiter hinaus auf das Meer will, muss sich einer der Delfin- oder Wale-Watching-Touren anschließen. Selber ein Boot ohne Skipper zu mieten, ist beinahe unmöglich. Denn Boote wurden in der Vergangenheit einfach zu oft geklaut und dann nach Afrika entführt, wo sie dann nicht mehr aufzufinden sind – sagt zumindest die Tourismusindustrie.

Unter dem Strich ist es ein bequemer Urlaub. Ich bin dankbar dafür, dass Reise ins europäische Ausland einfacher ist als je zu vor: Keine Passkontrollen, gewohnte Produkte in den Supermärkten, ein vergleichsweise hoher Hygienestandard und auch mein Handy kann ich wie gewohnt weiter nutzen. DANKE, EU – denke ich mehr als einmal. Wenn ich mit offenen Augen durch die Urlaubswelt wandere, wird mir aber auch immer wieder bewusst, dass es gerade der Massentourismus ist, der Landschaften, Orte und Kulturen verändert. Und dass ich irgendwie auch ein Teil davon bin. Mal positiv als Einnahmequelle für die Einheimischen. Mal negativ, in dem ich Plastikmüll und Flugemissionen verursache oder der Grund für die große Anzahl von Hotels oder die deutsche Zeitung im Kiosk bin. Bei mir zumindest hinterlässt das immer auch ein schlechtes Gewissen. Gottseidank.