Mit der Bahn durchs Land

Ziel erreicht. Zwölf Stunden Fahrt mit dem Zug liegen hinter uns, als wir am Freitagabend wieder in Yangon auf dem Bahnhof stehen. So lange hat der Zug für die rund 600 Kilometer zwischen Mandalay und Yangon gebraucht. Eine Busreise wäre schneller, bequemer und günstiger gewesen – aber die Erfahrung war alle Strapazen wert.

Pünktlich um 5.30 Uhr setzt sich der Zug am Bahnhof in Mandalay in Bewegung. Der Zugfahrer hupt mehrmals laut und die letzten Reisenden springen noch schnell auf, als der Zug schon langsam anrollt. Es dauert eh ein paar Minuten, bis der Zug in seiner ganzen Länge den Bahnhof verlassen hat. Im Zug selbst gibt es zwei Sitzklassen. Die Ordinary Class und die Upper Class. Während die Ordinary Class im wahrsten Sinne eine „Holzklasse“ ist, auf der die Reisenden dicht an dicht auf schmalen Holzbänken sitzen, haben wir in der Upper Class zumindest ein wenig Komfort. Die Sitze sind weich und lassen sich weit nach hinten kippen. Das Licht funktioniert ebenso wie die Wasserspülung auf der Toilette. Es ist alles verhältnismäßig sauber und ruhig. Nur der Ventilator an der Decke will seinen Dienst nicht verrichten. Nicht weiter schlimm, da die Fenster eh während der gesamten Fahrt offenstehen. Uns gegenüber sitzt ein junges Pärchen, rechts von uns auf einem Zweier-Sitz ein Paar mit kleinem Kind. Ein älterer Mann zeigt wild gestikulierend auf unsere Rucksäcke auf der Gepäckablage über unseren Köpfen. Zunächst wissen wir nicht, worauf er hinauswill. Erst als Dominik die Lage der Rucksäcke noch einmal überprüft und sie schließlich mit den Riemen an der Gepäckablage befestigt, zeigt er sich zufrieden.

Es dauert eine Weile, bis der Zug seine Fahrtgeschwindigkeit aufgenommen hat: Mit 65 km/h rattert er über die Gleise, das ist die Maximalgeschwindigkeit. Kein Wunder also, dass der Zug eine kleine Ewigkeit bis nach Yangon braucht und die meisten Touristen eher die bequemeren und schnelleren Fernreisebusse nutzen. Und dabei ist die Zugstrecke in Myanmar gut ausgebaut: Insgesamt 500 Bahnhöfe sind durch ein 5.000 Kilometer langes Schienennetz miteinander verbunden. Allerdings sind die Gleise in einem so schlechten Zustand: Der alte Zug hüpft und schaukelt durchgehend, sodass es uns immer wieder aus den Sitzen hebt.

Noch ist es dunkel, nur langsam bricht die Dämmerung an. In Myanmar bedeutet dunkel übrigens wirklich dunkel. Außerhalb der Großstädte sieht man nur wenige Lichter. Es gibt nach wie vor ganze Dörfer, die keinen Strom haben. Dafür brennen an vielen Stellen Feuer. Die Luft, die durch das offene Fenster zieht, riecht nach Rauch. Als es hell wird, bestaunen wir die Landschaft: Kornfelder, Reisfelder, Bananenplantagen. Wälder. Dazwischen Dörfer und Bahnhöfe.

Gefühlt hält unser Zug an jedem der kleinen Bahnhöfe an. Immer nur wenige Minuten. Doch das reicht den Reisenden, die ab- oder aufspringen, während der Zug langsam in den Bahnhof ein- oder ausrollt. An den Bahnhöfen herrscht reges Treiben: Hühner picken auf den Gleisen, Kinder spielen am Rand, Frauen waschen Wäsche oder breiten Mahlzeiten zu, Männer sitzen unter einer Plane auf alten Plastikstühlen und rauchen. Ich sehe Menschen mit Körben voller Essen auf dem Kopf oder an der Hand. Tiere, die herumstreifen. Gemüse, das auf großen Planen in der Sonne trocknet. Menschen, die Gepäck umherschleppen. Reisende lehnen sich aus dem Zugfenster und lassen sich Essen von Verkäuferinnen und Verkäufern anreichen.

Wer nichts davon annehmen will, wird auch im Zug selber nicht verhungern. Im Minutentakt kommt ein Mann oder eine Frau durch den Wagon, die alle möglichen Speisen anbieten: Trauben, Bananen, Nüsse, Reis und Fischsuppe. Oliven, Kuskus, Curry und Süßigkeiten. Aufgeschnittene Melonen. Sie balancieren die Lebensmittel geschickt in großen Körben auf ihrem Kopf, während der Zug über die holprigen Gleise wackelt.

Irgendwann erreichen wir Nay Pyi Taw, die neue Hauptstadt von Myanmar. Hier steigen fast alle Zugäste aus, aber ebenso viele wieder ein. Nay Pyi Taw ist die neue Hauptstadt Birmas und achtmal so groß wie Berlin. 2005 entstand eine komplette Stadt mitten im Nirgendwo aus dem Nichts. Es gibt einen Zoo, ein Golfplatz, Luxushotels und Schwimmbecken inmitten von Reisplantagen.Heute sind viele der riesigen Verwaltungsgebäude und Einkaufszentren genauso leer, wie die zwölfspurigen Autobahnen. Und das alles in einem Land, in dem die Menschen kaum wissen, wovon sie sich ernähren sollen, in dem die Straßen kaum befahrbar und Stromausfälle an der Tagesordnung sind.

Die Fahrt über die schlechten Gleise zieht sich endlos hin. Der Wagen schaukelt und hüpft beständig. Etwa zwei Stunden, bevor wir Rangoon erreichen, steigt ein älterer Mann in Begleitung einer jungen Frau und eines jungen Mannes ein. Vielleicht ein Vater mit den beiden Kindern. Dem Mann geht es schlecht. Er kann sich nur unter Schmerzen auf dem Sitz halten. Abwechselnd kümmert sich einer der beiden Reisebegleiter um ihn. Reicht ihm Wasser und essen. Deckt ihn zu. Irgendwann kann der alte Mann nicht mehr sitzen und rollt sich auf dem Boden zwischen zwei Sitzen zusammen, um so ein wenig Schlaf zu finden.

Am frühen Abend erreichen wir endlich Yangon. Ohne zu zögern rufen wir uns ein Taxi und lassen uns zu unserem Hotel bringen.  Zugegeben, die Zugfahrt war anstrengend und lang – selten habe ich eine Dusche so sehr gebraucht und herbeigesehnt wie heute. Und ja, beim nächsten Mal würde ich mich nicht für die Bummelbahn, sondern den Expresszug entscheiden. Trotzdem möchte ich die Erfahrung nicht missen, denn mit dem Bus ist es wie mit dem Flugzeug: Du steigst irgendwo ein und irgendwo wieder aus. Dazwischen: Nichts. Im Zug siehst du, wie sich die Landschaft draußen verändert. Du siehst wie die Menschen leben, und wie sie arbeiten.

PS: Wir haben die Tickets übrigens vorher in Deutschland über das Internet bei einem myanmesischen Reisebüro gekauft. Im Nachhin wissen wir: Das hätten wir auch einfacher haben können. Grundsätzlich kann man die Tickets nämlich nur am Bahnhof kaufen, frühestens zwei Tage vor Abfahrt des Zuges. Das liegt daran, dass es in Myanmar kein Computer-Ticket-System gibt und die Fahrkarten per Hand ausgestellt weden. Die Sitzpläte werden auf einem Block verzeichnet und dort die entsprechende Verfügbarkeit geprüft. Auch das Reisebüro hat schlussendlich nichts anderes getan: Die Dame ist zwei Tage vor Abfahrt zum Bahnhof gelaufen, hat dort die Tickets gekauft und zu unserem Hotel gebracht.