Wien: Friedenslicht

Es ist Donnerstag, 13. Dezember 2012 . Ich sitze auf gepackten Koffern (oder besser gesagt:auf dem gepackten Rucksack). Heute abend um 18.00 Uhr fährt auf Gleis 2 des Essener Hauptbahnhofes der IC 2213 ab. An Bord: Eine Delegation Essener Pfadfinder. Über Köln geht es dann nach Wien.

Insgesamt 18 Stunden im Zug und 48 Stunden in einer spannenden Stadt liegen vor mir. Weihnachtsmarkt, Schnee, Mozart, Prater, Sacher-Torte, Kaffeehäuser, Sissi, Riesenrad… das alles verspricht der Reiseführer, den ich mir gestern noch für die Fahrt gekauft habe. Auch wenn ich selber noch nicht dort war, formt sich so langsam ein Bild von der Stadt in meinem Kopf. Ein Bild, dass nur noch mehr Neugierde weckt, vor allem aber auch Vorfreude auf ein Wochenende mit vielen anderen Pfadfindern aus Deutschland, Europa, Afrika und den USA. Zusammen mit Steffi, Micha und Christoph mache ich mich heute Abend auf den Weg in die Österreichische Hauptstadt, um dortfür die DPSG Essen das Friedenslicht abzuholen.

Knapp 1.000 Kilometer hin und wieder zurück in drei Tagen – und das “nur” um eine kleine Flamme nach Essen zu holen: Eine verrückte Aktion. Ich entschuldige mich “mal eben so” für 72 Stunden aus dem Alltag. Ich kaufe keine Weihnachtsgeschenke, verpasse eine Weihnachtsfeier, ein Treffen  mit meiner Familie und musste zwei Geburtstagseinladungen absagen. Der Terminkalender ist voll, so kurz vor Weihnachten. Warum also habe ich mich auf das Unternehmen eingelassen?

Wie gesagt, ich freue mich darauf, Wien kennenzulernen, das eine oder andere bekannte Gesicht dort zu treffen und neue Menschen, Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus der ganzen Welt, kennenzulernen. Mich fasziniert die Vorstellung, dass ein kleines Licht zum Friedenszeichen auf der ganzen Welt wird und ich einen Teil dazu beitragen kann. Und schließlich kann ich die “Auszeit” ganz gut gebrauchen. Wenn die Adventsstimmung nicht zu mir kommen möchte, dann fahre ich eben zur Adventstimmung.

Freitag, 14. Dezember 2012

Wir sind gut in Wien angekommen. Eine kurze Nacht und ein langer Tag liegen hinter uns. Kaum zu glauben, was man an einem Tag alles erleben kann: Ein Schaffner, der sich als “Friedensstifter” engagiert, die gemeinsame Eröffnungsveranstaltung der deutschen Delegation (inklusive Gruppenbild), ein erster Ausflug durch die Stadt. Und zwischendurch: Zeit, in dem Café Griensteidl zu sitzen, direkt gegenüber der Spanischen Hofreitschule, die einfahrenden Pferdekutschen zu beobachten, eine Melange zu trinken, ein Stück Sachertorte zu essen und sich über eine der ältesten Fragen zu unterhalten: Warum sind wir eigentlich hier?

Martin aus Duisburg zum Beispiel. Eigentlich gehört er nicht offiziell zu der deutschen Delegation, war heute trotzdem bei der kleinen Eröffnungsfeier dabei. Wir haben ihn dort zufällig getroffen. Warum er hier ist? Wie gesagt, zufällig: In jedem Jahr trifft er sich mit einer Freundin in einer anderen Stadt, diesmal ist es Wien. Erst gestern hat er erfahren, dass hier an diesem Wochenende auch die Aussendungsfeier für das Friedenslicht stattfindet. “Spontan habe ich die Kluft noch in den Koffer geworfen und hier bin ich”. Und das “nur”, um mal wieder an einer Pfadfinderaktion teilzunehmen – denn die sind für ihn beruflich bedingt in den letzten Jahren immer weniger geworden. Ihn lockt die Faszination der Großveranstaltung. “Heute morgen in der Kirche, als alle zusammen saßen, habe ich sofort wieder eine Gänsehaut bekommen”, erzählt der Duisburger.

Für Christoph ist die Fahrt nach Wien ein Höhepunkt seiner Pfadfinderlaufbahn. “Ich war in den letzten 10 Jahren immer dabei, wenn das Friedenslicht in meiner Heimatgemeinde verteilt wurde. Ich finde die Idee einfach schön, dass ein kleines Licht an so viele Orte in der Welt weitergetragen wird und damit so eine große Bedeutung bekommt”. Einmal den Startpunkt der Lichterstaffette zu erleben, ist unbezahlbar.

Steffi hat einen ganz besonderen Bezug zum Friedenslicht. Sie war vor zwei Jahren mit einer Gruppe in Jerusalem, hat unter anderem auch Pfadfinder aus Galiläa kennengelernt. “Durch die Begegnungen dort habe ich noch mal einen ganz anderes Bewusstsein für das Thema bekommen. Frieden, so wie wir ihn hier in Europa kennen ist nicht selbstverständlich. Das Friedenslicht bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man die Konflikte zwischen zwei Völkern aus nächster Nähe mitbekommt.” Als Kuratin (geistliche Leiterin) ist es ihr außerdem wichtig, sich mit der Spiritualität im Verband auseinander zu setzen.

“Das Friedenslicht ist eine ökumenische Aktion, bei der Pfadfinderverbände unterschiedlicher Konfessionen zusammenarbeiten und zusammenkommen. “Das ist spannend zu erleben”. Und schließlich ist Steffi als Bezirksvorsitzende für die Aussendungsfeier in ihrem Bezirk verantwortlich. Bislang hat sie immer nur Geschichten “aus Wien” gehört. “Diesmal kann ich aus eigener Erfahrung davon berichten, was die Faszination der internationalen Aussendungsfeier ausmacht”.

Als Diözesanreferent für die Jungpfadfinderstufe in DV Essen war Micha in den letzten acht Jahren auf der Aussendungsfeier des Friedenslichtes im Bistum Essen dabei. “Ich wollte die Vorgeschichte einfach mal erleben. Erfahren, woher das Licht kommt, wie es ist, die Flamme in Wien entgegenzunehmen”. Ihn faszinieren die internationale Begegnungen. “Es ist ein wichtiger Aspekt der Pfadfinderbewegung, im “Pfadfinderalltag” kommen sie – naturgemäß – allerdings oft zu kurz. Da ist das Friedenslicht-Treffen in Wien eine gute Gelegenheit, sich mit den Pfadfindern aus aller Welt auszutauschen. Der Austausch mit den Pfadfindern hier ist nicht nur für Micha auch noch unter einem anderen Aspekt spannend: Die Friedenslichtaktion in Deutschland ist eine Aufgabe, die sich der “Ring deutscher Pfadfinder”, sozusagen die “Dachorganisation” der Pfadfinder, auf die Fahne geschrieben hat. “Die Pfadfinderkultur unterscheidet sich von Verband zu Verband. Jeder hat seine eigene Kluft, seine eigenen Traditionen, seine eigene Vorstellungen davon, was Pfadfindersein bedeutet. Es ist spannend, zu erleben, wie andere ihre Pfadfinderarbeit so gestalten”. Und nicht zuletzt reizt Micha auch einfach die Stadt. “Es ist großartig, in einer Stadt unterwegs zu sein, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann und dementsprechend viel zu erzählen hat”.

Zum Abschluss des Tages geht es jetzt übrigens noch auf den Weihnachtsmarkt – Auf den Rat einer freundlichen Wienerin, die wir heute Nachmittag in der Straßenbahn getroffen haben, haben wir gewartet, bis es dunkel ist. Denn dann kann man den beleuchteten Markt, die beleuchteten Straßen angeblich ab besten genießen. Einen herzlichen Gruß aus Wien!

Samstag, 15. Dezember 2012

Seit etwas mehr als einem Tag sind wir nun in Wien. Viel Zeit, die Stadt zu erkunden. Doch am Samstagnachmittag haben hier alle Pfadfinder nur ein Ziel: Die Pfarrkirche Altlerchenfeld. Denn dort findet in diesem Jahr die Aussendungsfeier für das Friedenslicht statt.

Etwa 1.000 Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus mehr als 20 Ländern nehmen an der Feier teil. Die Kirche ist bis in den letzten Winkel gefüllt. Die Menschen sitzen auf den Stufen, auf dem Boden, lehnen an den Säulen. Um uns herum, Pfadfinder in Kluften mit ihren Halstüchern. In allen Farben. Kinder und Jugendliche sind da, aber auch die Altpfadfinder.

Knapp eine Stunde dauert die Feier. Als erstes ziehen Vertreter und Vertreterinnen der unterschiedlichen Länder und Verbände mit ihren Bannern ein. Dann folgt das Friedenslicht. Die 13-jährige Christina Mader aus Oberösterreich trägt es. In jedem Jahr wählt der ORF ein Kind aus, das sich durch ein außerordentliches soziales Engagement auszeichnet. Der oder diejenige reist nach Jerusalem, entzündet dort die Flamme in der Geburtsgrotte und bringt sie nach Wien. In diesem Jahr darf Christina das Licht und seine Botschaft in die Welt tragen, abgeholt hat sie es aber nicht selber. Ein Kind aus Bethlehem hat das Licht in der Geburtsgrotte entzündet und der ORF hat es dann hier hin gebracht. “Angesichts des Krieges der dort herrscht, war das die sicherste Lösung”, erzählt der Vorsitzende der Österreichischen Pfadfinderinnen und Pfadfinder am Anfang der Feier.

Selten war das Anliegen also so greifbar: “Für uns ist das Friedenslicht in diesem Jahr ein besonderes Zeichen. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Jerusalem und mit allen Menschen, die in Krisen- und Kriegsgebieten leben. Dank an die Pfadfinder, dass sie mit dem Licht auch eine Botschaft in ihre Länder tragen: Wir geben die Hoffnung auf ein friedvolles Zusammenleben der Menschen weltweit nicht auf”, sagt Senior Mag. Hans-Jürgen Deml, der Vertreter der Evangelischen Kirche, in seiner Begrüssung.

Pfadfinder aus allen Ländern singen und beten gemeinsam, in Deutsch und in Englisch. Nur die Fürbitten, die jede Delegation spricht, während sie ihre Laterne am Friedenslicht entzündet, werden in der jeweiligen Muttersprache vorgetragen. Bewegend: Das Vaterunser zum Abschluss sprechen alle zusammen, jeder in seiner Sprache. Egal wo du herkommst, egal wie fremd dir die einzelnen Menschen sind. Alle Pfadfinder kennen dieses Gebet. Es verbindet, zeigt: wir sind eine Gemeinschaft. Vielleicht ist es gerade das, was die Pfadfinder immer wieder an diesen Ort führt?

Sonntag, 16. Dezember 2012

Ich bin begeistert. In Deutschland gibt es einfach alles: Sogar ein “Merkblatt für Reisende mit Friedenslicht”. Damit sind wohl wir gemeint. Seit heute Nacht um 0.00 Uhr sind wir solche “Reisenden mit Friedenslicht”. Denn nach einem (zu) kurzen Wochenende in Wien sitzen wir wieder im Zug, der uns zurück nach Essen bringt. Zunächst ging es für uns – zusammen mit der gesamten Deutschen Delegation – im Nachtzug nach München und von dort aus dann sternförmig in die verschiedenen Teile der Bundesrepublik. Für uns bedeutet das, dass wir über Augsburg, Stuttgart, Mannheim, Frankfurt, Köln dem Ruhrgebiet immer näher kommen. Sobald sich der Zug einem Bahnhof nähert, stehen welche von uns mit der Laterne bereit, um dann kurz auszusteigen und das Friedenslicht an dort wartende Pfadfindergruppen, die Bahnhofsmission oder die Flughafenmission weiter zu geben. Nach und nach verabschieden sich nun auch die einzelnen Delegationen um das Licht in ihre Diözesen zu bringen.

Damit wir das Friedenslicht überhaupt im Zug transportieren dürfen, müssen wir, wie gesagt, die Vorschriften beachten, die die Deutsche Bahn auf dem “Merkblatt für Reisende mit Friedenslicht” für uns zusammengestellt hat. Dort ist nicht nur geregelt, in welchen Behältern Feuer an Bord transportiert werden muss (in einem geschlossenen Metallbehälter oder in einem geschlossenen Glasbehälter, der in einem Metallbehälter steht) sondern auch welcher Brennstoff benutzt werden darf (erlaubt sind nur Kerzen) und welche Ansprechpartner seitens der Bahn über was in welcher Reihenfolge zu informieren sind. So mussten wir uns zum Beispiel beim Einstieg beim Zugbegleiter melden, der dann unsere Personalien aufgenommen, die Einhaltung der genannten Brandschutzbestimmungen überprüft, unseren Aufenthaltsort im Zug notiert, und uns mit den brandschutztechnischen Sicherheitseinrichtungen im Wagen vertraut gemacht hat. So zumindest in der Theorie – in der Praxis zeigen sich die Bahnbegleiter wesentlich entspannter. Doch dass das nicht immer so ist, das berichten die Friedenslichtträger aus den letzten Jahren. Im Zug haben sie schon die eine oder andere Kuriosität erlebt.

Einmal hat die Gruppe das Friedenslicht in der Toilette des Zuges “mitgeschmuggelt”. Ein anderes Mal haben Sicherheitsbeamte die Gruppe am Münchener Hauptbahnhof aufgefordert, die Flamme zu löschen oder das Gebäude zu verlassen. “Als dann der Bayrische Rundfunk auftauchte und darüber berichten wollte, waren alle plötzlich wieder ganz nett” erzählt Michael Lucks, der seit 17 Jahren die Friedenslichtfahrten mit organisiert. Das Licht hat die Delegation damals dann lieber ganz schnell und ohne Umwege in den ICE gebracht. Problematischer ist der Lichttransport in den Regionalbahnen. Weil die Zugführer dort oft gar nicht Bescheid wissen, dass “Feuer an Bord” ist.

Doch in der Regel sind die Pfadfinderdelegationen an Bord willkommen, darin sind sich die Teilnehmer einig. “Die meisten Schaffner sind hilfsbereit und sehr verständnisvoll, sie sorgen zum Beispiel dafür, dass der Zug auch mal eine Minute länger als planmäßig hält, so dass wir genug Zeit haben, um das Friedenslicht weiterzugeben und noch das eine oder andere Foto zu machen”, weiß Michael. “Eine Schaffnerin hat uns bis zum Schluss auf der Strecke begleitet und dann nachher noch gefragt, ob sie das Licht vielleicht auch mitnehmen kann”. Ein Highlight: Im vergangenen Jahr kündigte das Personal am Kölner Hauptbahnhof die Ankunft des Friedenslichtes am Bahnsteig an. “Wir haben dann das Banner aus dem Fenster gehalten”.

So ganz ohne Licht sind die Pfadfinderdelegationen aus Wien übrigens noch nicht zurück gekehrt. Irgendwie haben sie es immer geschafft, die kleine Flamme in die Diözesen zu bringen.

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