Myanmar ist das Land der 1.000 Pagoden. Die erste, die ich davon besichtigte ist die Shwedagon-Pagode in Yangon. Auch wenn sie nicht genau im Mittelpunkt der Millionenstadt steht, ist sie doch das geistliche Zentrum. Sie ist Bezugspunkt für die Menschen im Land, das Koordinatensystems aller Lebensformen hier und Orientierungspunkt, da von jedem Punkt in der Stadt aus zu sehen.
Wir erreichen die Schwedagon-Pagode über einen der vier großen, überdachten Treppenaufgänge (zaungdan genannt), die im Norden, Osten, Süden und Westen zu dem Tempel führen. 108 Stufen sind es bis zur mittleren Terrasse. Bereits unten am Fuße der Treppe müssen wir unsere Schuhe ausziehen, denn in Myanmar gilt, dass alle religiösen Gebäude ausnahmslos barfuß betreten werden dürfen. Ein Junge, kaum älter als fünf, drückt mir eine dünne Plastiktüte in die Hand, in der ich meine Schuhe umhertragen kann. Gegen eine kleine Spende versteht sich. Auf der Suche nach kleinen Scheinen ziehe ich 500 Kyat aus der Tasche. Umgerechnet etwa 30 Cent. Zu viel frage ich mich noch kurz, doch der Junge bekommt große Augen. Auch wenn der Preis eindeutig übertrieben ist, ist das für mich keine große Sache. Für ihn offensichtlich schon.
Zu beiden Seiten der Treppe befinden sich Ladenzeilen, grellen und bunten Neonlichtern ausgeleuchtet. Dort verkaufen Frauen Blumen, Buddha-Figuren, Souvenirs, Räucherstäbchen, Kerzen und Blattgold. Eben alles, was man auf der Pilgerreise oder für den Tempelbesuch so brauchen kann. Oben angekommen, zahlen wir ein kleines Eintrittsgeld. Einheimische gelangen natürlich umsonst hinein, Touristen zahlen pro Tag 8.000 Kschat – etwa 8 US-Dollar
Die 108 Stufen führen ohne Umweg in eine andere Welt. Während unten auf den Straßen alles grau ist, glänzt hier das Gold. Während man auf den Gehwegen in der Stadt aufpassen muss, nicht in ein Loch zu fallen, weil die Gullis keinen Deckel haben, gehen wir hier über blank polierten Marmor. Die Luft stinkt nicht mehr nach Abgasen und Müll, es riecht angenehm nach Weihrauch und Räucherstäbchen. Und es gibt so viel zu sehen: die alles überragende Hauptstupa in der Mitte, zahlreiche kleine Nebenstupas, Schreine, Pavillons. Buddha-Figuren in allen Größen und Formen. Die Haha-Tissada-Glocke, das Diamantenauge (Sein Bu), der Platz der Wünsche. Auf dem Boden sitzen oder knien betend und singend Pilger. Überall bewegen sich Gruppen mit Pilgern oder Mönchen in jedem Alter.
Für die Prozession um die Stupa ließen Mönch im 15. Jahrhundert den Hügel einebnen und die Trasse anlegen. Die Stupa umkreist man im Uhrzeigersinn, da es Glück bringt, dem Gang der Himmelskörper zu folgen. Für jeden Wochentag steht eine kleine, weiße Buddha-Figur und da der astrologische Kalender in Myanmar acht Tage hat, ist der Mittwoch zweigeteilt. Man beginnt an dem Posten, der dem eigenen Geburtstag entspricht. Gläubige opfern ihm Blumen und Papierschirme für ein paar Karma-Punkte. Sie übergießen die Buddha-Statuen mit Wasser. Auch das bringt Glück.
Es ist ein Ort, an dem ich mich willkommen fühle. Ich denke, es ist absolut ok, dass ich hier bin. Auch wenn ich Touristin bin, Ausländerin, Andersgläubige. Wie an den meisten heiligen Orten im Land gilt eine Kleiderordnung: kurze Hosen, Miniröcke, Tanktops und tiefe Dekolletés sind verboten. Ansonsten ist die Stimmung entspannt, was für die Gastfreundlichkeit und Toleranz der Myanmaren spricht. Während ich zum Beispiel in Marokko bei jedem Foto ein schlechtes Gewissen hatte, scheinen unsere Gastgeber hier wenig gegen Kameras zu haben.
Beeindruckend ist die Shwedagon-Pagode übrigens auch in der Abenddämmerung und in der Dunkelheit. Dann ist der Andrang am größten und die Stupas sind hell erleuchtet. Ein starker Kontrast zur sonst dunklen Nacht, wo das Viertel um die Pagode herum doch eher düster ist.