Tiflis: Zwischen Alt und Neu

Freitag, 28. April 2017: Es ist mitten in der Nacht, als wir in Tiflis landen. Unseren urspünglichen Plan – mit dem Taxi in die Stadt zu fahren – haben wir kurzfristig über Bord geworfen und doch einen Fahrer über das Hotel gebucht.

Die Stadt präsentiert sich uns auf den ersten Blick dunkel und ruhig. Einmal von der Hauptverkehrsstraße ab, fahren wir durch viele kleine, enge Straßen, oft ohne Beleuchtung. Dazwischen immer wieder Gebäude, die von Scheinwerfern angestrahlt werden: die Highlights der Stadt. Auch wenn wir hundemüde sind und unser Fahrer nur ein paar Brocken Englisch spricht, lässt er es sich nicht nehmen, auf dem Weg noch schnell daran vorbeizufahren und uns zu erklären, was wir rechts und links sehen: Das Parlament, die Oper, der Präsidentenpalast, der Fernsehturm und das Riesenrad, der Freiheitsplatz.

Ohne Plan sind wir losgefahren und ohne Plan beginnt auch unser erster Tag. Es ist eher der Zufall, der uns von Ort zu Ort bringt. Unser Hotel (das Hotel Tiflis) liegt nahe des Marjanishvili Squares, im ältesten Back-Packer-Viertels der Stadt. Auf beiden Seiten der Straßen stehen Jugendstil-Häuser, einst von deutschen Siedlern gebaut und während der sowjetischen Besatzungszeit verfallen. Dazwischen entdecke ich immer wieder auch Bauelemente des Mittelmeerraums (Süditalien und Südfrankreich), erkennbar an schmiedeisernen Balonen, Balustraden, Vor- und Innenhöfen.

Zunächst zieht es uns zum Fluss und auf die andere Seite der Stadt. Der Reiseführer schlägt uns einen Spaziergang über die Rustaveli Avenue vor, die parallel zum Fluss Mtkwari verläuft. Sie startet am Platz der Rosenrevolution und endet nach etwa anderthalb Kilometern am Freiheitsplatz (Tawisuplebis Moedani). Rustaveli Avenue ist DIE Flaniermeile in Tiflis, benannt nach dem georgischen Dichter, Shota Rustaveli. Sie ist breit und ausladend, rechts und links der stark befahrenen Straße reihen sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt aneinander. Zwischen den Wohnhäusern der georgischen Aristokratie (eine Mischung aus Jugendstil, Barrok und Klassizissmus) stehen das Parlament, das Shota-Rustaveli-Theater, die Oper und die Kwaschweti-Kirche.

Ganz anders ist das Viertel, in das wir danach kommen. Vom Freiheitsplatz möchten wir uns durch die Seitenstraßen in Richtung des Flusses und der Erekle II Street durchschlagen. Kaum kommen wir von den Hauptwegen ab, verwandeln sich die Straßen: Im Gegensatz zur Rustaveli Avenue sind sie nicht mehr ausladend und belebt, sondern eng und ruhig. Auch die Häuser sind klein und heruntergekommen. Auf einem kleinen Platz sitzen Männer an einem Tisch im Schatten und spielen Backgammon. An einem Türeingang lehnen Männer und rauchen eine Shisha-Pfeife. Hinter einem Schaufenster sitzt ein Mann, der näht. Durch das Fenster einer winzigen Bäckerei verkauft eine alte Frau Brot und süße Backwaren. Durch Torbögen und Einfahrten erhaschen wir Blicke auf die Innenhöfe: Dort trocknet Wäsche an langen Leinen, Kinder spielen Fußball.

Von dem einen Moment auf den nächsten wandelt sich die Welt wieder: Plötzlich stehen wir auch schon auf der Erekle II Street. Früher reihten sich hier zahlreiche Läden, Werkstätten, Markstätten und Karawanserein aneinander. Heute erinnern daran nur noch Überreste von kunstvollen Wandbemalungen, mit den die Händler und Handwerker einst um Kunden warben. An manchen Fassaden sehe ich immer noch die Reste der kunstvollen Wandbemalung, mit denen Händer und Handwerker früher ihre Dienstleistungen bewarben. Hier, in der Erekle II Street ist die Welt auch wieder heile: Heute findet man hier Hotels und Hostels, Restaurants und Kleipen. Für jeden Touristengeschmack etwas dabei: Moderne Restaurants im mitteleuropäischen Stil und Vintage-Cafés. Mit georgischer oder europäischer, klassischer oder veganer Küche. Aus den Boxen tönt Kaffeehausmusik oder Techno. So oder So: Free Wifi gibt es überall. Die europäischen Touristin fühlt sich wohl hier.

Unser letztes Ziel für heute sind die Ruinen der Festung Narikala, die früher einmal hoch über der Stadt auf einem der umliegenden Hügel thronte. Die Festung wurde im 4. Jahrhundert von den Persern erbaut, im 5. Jahrhundert unter König Wachtang Gorgassali eingenommen, zerstört, aufgebaut und erweitert. Überhaupt scheint “eingenommen, zerstört, aufgebaut und erweitert” das Mantra der Burg zu sein, denn es geschah noch vier weitere Male in der Geschichte Tiflis: Von den Arabern im 7. Jahrhundert, von den Mongolen im 13. Jahrhundert, von den Türken im 16. Jahrhundert und noch mal von den Persern im 18. Jahrhundert. Im Jahr 1827 schlug schließlich ein Blitz in das, von der russischen Armee angelegte Pulverfass ein und zerstörte die Festung erneut. Da die fortschreitende Waffentechnik die Anlage überflüssig machte, wurde sie danach nie wieder aufgebaut.

Bei unserem Aufsteig wählen wir nicht den bequemen Weg mit der Seilbahn, sondern gehen zu Fuß durch die schmale Gasse nach oben. Wie es sich herausstellt, hätten wir keinen besseren Zeitpunkt dafür wählen können. Denn während wir von oben auf die Stadt herabblicken, geht hinter uns die Sonne unter und taucht Tiflis in goldenes Abendlicht. Gut, um einen ersten Überblick über die Stadt zu bekommen. Da ist der Fluss und die Friedensbrücke. Auf der anderen Flusseite erhebt sich die Semeba-Kathedrale zwischen den Häusern, weiter vorne die Statue von König Wachtang Gorgassali. Am Horizont, an den Stadträndern, eintönige Sowjet-Architektur: Ein Hochhaus-Block neben dem anderen. Alt trifft neu.

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