Montag, 1. Mai 2017: Auch wenn wir nur grobe Vorstellungen von dem hatten, wie unsere Zeit hier in Georgien aussehen sollte, eine Sache stand von Anfang an fest: Wir wollten unbedingt einen längeren Ausflug in die Umgebung machen. Entweder wandernd oder mit Pferden. Nun gut. Das mit den Ausflügen haben wir hinbekommen, doch weder zu Fuß noch zu Pferde. Vielmehr haben wir uns auch für die zweite Tour wieder den Fahrer gebucht. Never change a winning team.
Am Sonntag hieß das Ziel Stepanzminda. Die kleine Stadt liegt 155 km entfernt von Tiflis am nördlichen Rand der Region Chewsuretien, mitten im Kaukasus, direkt an der russischen Grenze. Der Weg dorthin führt uns über die Heerstraße, die mit 213 Kilometern das Gebirge zwischen Georgien und Russland durchquert. Ursprünglich war es eine Karawanenstraße, die seit Jahrtausenden von Soldaten und Händlern benutzt wurde und Teil der Seidenstraße ist. Im 18. Jahrhundert baute die russische Armee die Straße aus, so dass sie „bequemer” für den Transport ihrer Truppen genutzt werden konnte. Bereits Die Schriftsteller Alexander Puschkin und Alexandre Dumas mussten die leidvolle Erfahrung machen, dass die Straße einmal zu den kürzesten, und zugleich gefährlichsten und beschwerlichsten Routen über den Kaukasus gehörte. Und das lässt sich auch heute noch erahnen. Über die komplette Strecke hinweg muss unser Guide Schlaglöchern und Baustellen ausweichen. Die Straßen sind in einem schlechten Zustand. Auf die Frage hin, wie lange sie schon nicht mehr repariert wurden, kommt eine überraschende Antwort: Seit einem Jahr. Auf Grund der Kälte platzen sie in jedem Winter auf und sobald der Frühling da ist, müssen sie neu in Stand gesetzt werden. Zwischendurch geht es steil bergauf oder bergab, auf den höchsten Punkten liegt im ganzen Jahr Schnee. Zwischendurch fahren wir durch Bergtunnel, die zwar befestigt, jedoch unbeleuchtet und fensterlos sind. Die einzige Lichtquelle: Die Scheinwerfer des Autos. Um uns herum: Alles schwarz. „So etwas würde es in der EU nicht geben” – dieser Gedanke geht mir auf dem Weg nach Stepanzminda mehrmals durch den Kopf. Der Tunnel ist ein lebendiges Beispiel dafür, welchen Vorteil auch Europäische Normen haben. Und dass es einem immer nur dann auffällt, wie wichtig sie sind, wenn sie fehlen. Ich denke unweigerlich daran, dass es bei uns in Deutschland früher auch einmal so gewesen sein muss und fühle mich fast wie bei einer Zeitreise. Es braucht schon ein großes Stück Vertrauen darein, dass der Fahrer die Strecke kennt.
Auf unserem Weg halten wir mehrmals an, um kleinere Touristenattraktionen zu bestaunen: Zunächst die Festung Ananuri am Shinwali-Stausee (die älteste original-erhaltene Festung in Georgien), dann das Denkmal unterhalb des Kreuzpasses (Denkmal der Freundschaft Sowjetischer Völker, übrigens mit großartigem Panorama-Blick auf das Aragwital) und schließlich Stepanzminda. Dort angekommen, überkommt mich ein Gefühl, dass wir entweder zu früh im Jahr oder zu spät dort hingekommen sind. Es ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Schneereste, graue Felsen, noch kahle Bäume. Es gibt ein Denkmal des Adeligen Alexander Kasbegi, ein Museum, ein paar Restaurants, Kühe und Schweine auf der Straße und … sonst nichts. Die meisten Touristen kommen hier hin, um das Zminda-Sameba-Kloster zu besuchen, das hoch über der Stadt auf einem Berg thront. Wir besuchen es heute leider nicht mehr, da die Zeit schon vorangeschritten ist. Beim nächsten Besuch würde ich es aber tun.