Mülleimer quillen über, Papier weht über die Straße, leere Plastikbecher liegen auf den Straßen, es stinkt nach schalem Bier. An diesem Sonntagmorgen hat die sonst so idyllische Hafenstadt Porto einen heftigen Kater. Kein Wunder, denn es der Morgen danach. Der Morgen nach São Joao.
Als wir im Winter unsere Flüge nach Porto buchten, wussten wir noch nicht, dass wir uns damit auf die größte Party des Jahres eingeladen hatten. Wie die Schweden haben auch die Portugiesen eine ausgeprägte Tradition, die Sommersonnenwende – oder Mittsommer – zu feiern. Und offensichtlich gehörten wir zu den wenigen, die nicht extra deswegen hier her geflogen waren. Der Plan war es, diesmal etwas gemütlicher unterwegs zu sein: Mal kurz auf „Slow Motion“ drücken, die Sonne genießen, einen Portwein hier trinken, Fotos machen, einen Portwein dort trinken, gutes Essen essen. Mehr nicht. Das alles hätten wir an 362 Tagen im Jahr haben können – nicht jedoch an dem Wochenende, das wir uns dazu ausgesucht haben.
Komm, wir feiern die ganze Nacht
Für eine Nacht verwandelt sich Porto in eine einzige gigantische Straßenparty. Kurz bevor die Sonne untergeht, räumen die Restaurants ihre Tische von den Terrassen und schließen die Türen. Hungrig oder durstig bleibt aber auch heute Abend keine(r), denn überall sind Grills und Theken aufgebaut. Sardinen gibt’s auf die Hand, das Bier fließt ohne Unterbrechung aus Zapfhähnen. Die schmalen Gassen sind mit Landesflaggen, bunten Fähnchen, Ballons und Papierlaternen geschmückt. Basilikumtöpfe hängen und stehen überall: Aus Papier oder auch in echt auf den Tischen der Restaurants. Wer daran vorbei geht, tippt mit der flachen Hand auf das Pflänzchen und saugt anschließend den Geruch ein. Denn das bringt heute Nacht Glück.
Überall sind lange Tische aufgebaut, an denen die Menschen sitzen, trinken, essen, rauchen, lachen, feiern. Wer nicht sitzt, läuft durch die Stadt oder tanzt. Vor den Restaurants und Clubs haben die Besitzer Musikanlagen aufgebaut. Von Faro bis zu den Charts ist alles dabei.
Lauchstangen und Plastik-Hammer
Als wichtigste Requisite dient ein kleiner (oder großer) Plastikhammer. Früher war es Tradition, dass sich die Menschen zu São Joao mit einer Lauchstange gegenseitig auf den Kopf schlugen und somit segneten oder Glück wünschten. Heute sieht man die Lauchstangen nur noch vereinzelt, der Plastikhammer hat sie weitgehend ersetzt. Und während die lange Pflanze mit der Blüte am Ende beim Vorbeigehen eher sanft und unaufdringlich im Nacken kitzelt, saust der Hammer oft mit einem lauten Quietschen auf den Kopf. Auch wenn sich das Ritual erst einmal brutal anhört, ist es das nicht. Ob klein oder groß – jeder und jede macht mit. Am Anfang zögerlich (ist es doch ungewohnt, wild fremden Menschen einfach mal auf den Kopf zu hauen). Später dann forsch und selbstverständlich – aber immer mit großem Respekt. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich, von Aggressionen keine Spur.
Das Quietschen und Pfeifen der Hammer begleitet uns schon den ganzen Samstag. Am Anfang vereinzelt – immer wenn jemand einen Hammer an einem der zahlreichenden Stände in der Stadt kaufte und ihn zunächst zaghaft ausprobierte. Später dann zunehmend, bis es in der ganzen Stadt quietschte und pfiff. Später kurz wieder abflachend, als sich um Mitternacht alle auf das Feuerwerk konzentrieren und dann rhythmisch zur Tanzmusik auf den Straßen bis tief in die Nacht.
Feuerwerk und Himmelslaternen
Je später der Abend, desto mehr Menschen strömen in das Hafenviertel in Richtung des Flusses. Denn dort hat man den besten Blick auf das Feuerwerk, das für Mitternacht angekündigt ist. Unwillkürlich fragt man sich, ob der Platz unten wohl noch reicht, oder ob die Menschenmassen einfach irgendwann, wie Lemminge über die Kaimauern in den Fluss fallen. Das Feuerwerk ist das Highlight des Abends. Bis es so weit ist, steigen zahlreiche Himmelslaternen in die Luft. Ein weiteres Glücksritual. Ein leichter Wind weht und das macht den Start der Laternen zu einer heiklen Angelegenheit. Vier Leute halten sie an jeder Ecke fest, während ein fünfter die Brennpaste anzündet. Einmal in der Luft verfolgen hunderte Menschen den Aufstieg, fiebern mit und applaudieren, sobald die Laterne die Häusergiebel passiert hat.
“Der Morgen danach”
Der nächste Morgen: Abgesehen von Müllmännern sieht man heute kaum Menschen auf der Straße. Hier eine Familie mit kleinen Kindern, dort eine Gruppe junger Männer mit Flipflops und dunklen Sonnenbrillen, auf der Suche nach Frühstück. Menschen, die offensichtlich auf dem Weg zum Flughafen sind und ihren Koffer hinter sich herziehen. Ein Mann, der versucht, mit seinem Taschentuch die Bank im Park zu säubern, damit er sich dort hinsetzen und seine Zeitung lesen kann. Dazwischen wir: einigermaßen ausgeschlafen und einigermaßen nüchtern am „Morgen danach“. Am Morgen nach São Joao.
Et kütt, wie et kütt
Es war ein Kurztrip, den wir uns eigentlich anders vorgestellt hatten. Auf der anderen Seite haben wir vielleicht genau die zwei Tage erlebt, an denen sich Porto von den vielen anderen idyllischen Hafenstädten unterscheidet. Als die Ryan-Air-Maschine uns am Sonntagabend dann auch noch in Köln absetzt – und nicht wie gebucht in Dortmund – empfängt uns am Gepäckband ein Schild: “Et is wie et is – es kütt wie et kütt – wat wells de mache?”. Und das fasst es das Motto unserer kleinen Reise ganz treffend zusammen. “Und das ist gut so”, denke ich. Denn gerade wenn etwas ganz anders kommt als geplant, bleibt es umso mehr in Erinnerung.