Lake Taupo und Wai-O-Tapu – Tag 6

Liebe Elena, lieber Reinke,

Wie gerne hätte ich mit Euch zusammen Silvester und Neujahr gefeiert. Doch weiter hätte ich wohl an diesem Tag kaum weg sein können. Daher bekommt ihr heute von mir diese sechste Postkarte.

Es ist auch nach fast einer Woche immer noch gewöhnungsbedürftig, überall in den Städten die Weihnachtsdekoration hängen zu sehen: Glitzergirlanden, die in der Sonne blinken. Künstliche Schneemänner, die einem bei 27 Grad Lufttemperaturen im Schatten schon fast automatisch leid tun. Komisch ist es auch, den Jahreswechsel mitten im Sommer zu feiern. Während man es in Deutschland um Mitternacht kaum lange draußen aushält, ist das hier kein Problem.

Kurz vor Mitternacht sitzen wir auf einem Steg auf dem See und blicken auf den Campingplatz, die Stadt Rotorua und das Umland. Es ist stockdunkel, nur einzelne Lichter und ein paar Sterne spiegeln sich im Wasser. Neben uns und am nahen Ufer stehen, lachen und plaudern andere Menschen. Irgendjemand zählt laut den Countdown: Ten, Nine, Eight,,… “Happy New Year” schallt es dann über den See. Vereinzelt sehen wir Silvesterfeuerwerk am Ufer, Lichter und Wunderkerzen. Wir umarmen uns und stoßen mit Weißwein auf das neue Jahr an. So beginnt mein Jahr 2019. Weit weg von den meisten Freunden und zwölf Stunden vor allen anderen.

Am Morgen sind wir dann von Roturua aus zum Lake Taupo aufgebrochen. Obwohl ich mir innerlich geschworen habe, den stinkenden Thermalquellen von nun aus dem Weg zu gehen, verleiten uns die Bilder im Reiseführer uns dann doch zu einem Halt im “Wai-O-Tapu Thermal Wonderland”. Es ist ein bisschen wie im Zoo. Rechts und Links eines Weges stehen Holzzäune mit Warnhinweisen, dass die Wege auf keinen Fall zu verlassen seien und dass Eltern ihre Kinder jederzeit unter voller Kontrolle haben müssten. So läuft man vorbei an dampfenden und blubbernden Kratern und Tümpeln, immer wieder ziehen Schwefelwolken über das Gelände. Hier und dort eine Aussichtsplattform, auf denen man einen besseren Blick auf die Pools hat. Es ist schon spannend, welche Farben die Natur so hervorbringt, wenn sie ein wenig Schwefel erhitzt und mit anderen Substanzen zusammenbringt.

Ein Highlight ist der blau-gelb-grüne “Champagnerpool”, der seinen Namen von den vielen kleinen Bläschen hat, die in ihm aufsteigen. Davor sammeln sich dutzende Besucherinnen und Besucher, die sich vor dem Pool und der Schwefelwolken fotografieren. Hier machen wir Bekanntschaft mit einigen Australierinnen und Australiern, die mich bitten, ein Foto von ihnen zu machen. Die Frau, die im Gegenzug ein Foto von Steffi und mir vor der stinkenden Wolke macht, spricht fast fließend Deutsch. Sie war ein paar Jahre lang als Ski-Lehrerin in Österreich und ist nun happy, ein paar Worte mit uns wechseln zu können. Ihr Mann schummelt sich zu uns mit auf das Bild: “Vielleicht bin ich ja eine australische Berühmtheit. Dann seid ihr nachher froh über das Foto”.
Wir laufen noch ein paar Meter mit ihnen gemeinsam und erfahren, dass sie mit einem Schiff von Australien übergesetzt sind und nun Landgang haben. Dann trennen sich unsere Wege auch schnell wieder.

Am frühen Mittag parken wir unseren Camper auf einem Campingplatz an der Five Mile Bay, am Nord-Ost-Ufer des Lake Taupo. Heute ist wieder Freedom-Camping dran. Wir stehen direkt am See. Der Strand ist einen Katzensprung entfernt. Rückwärts einparken, Heckklappe auf, reinlegen, rausgucken: Alles ist perfekt. Wenn ich auf dem Bett liege, schaue ich direkt auf den See. Am Ufer gegenüber erahne ich den den Tongariro (der übrigens der Schicksalsberg aus “Herr der Ringe” ist). Jetskis und Segelboote auf dem Wasser, Paragleider am Himmel. Es ist einfach perfekt.

Neben unserem Van steht das Auto von Henrike und wir kommen schnell ins Gespräch. Sie ist Hamburgerin und seit vier Monaten in Neuseeland unterwegs. Sie hat im Sommer ihre Ausbildung zur Steuerfachangestellte beendet und macht nun ein Jahr lang “Work and Travel” in Neuseeland. 5.000 Euro Startkapital, ein Hinflug-Ticket und jede MengeZeit im Gepäck, um das Land kennenzulernen. Pläne macht sie von heute auf morgen. Meist lebt sie im Auto, manchmal auch bei Familien, denen sie als Gegenleistung im Haushalt aushilft. Man merkt, sie ist schon eine Weile alleine unterwegs und hat viel zu erzählen: Von ihrem Job bei der Blaubeerernte und im Kiwi-Feld, von ihrem Totalschaden mit dem Auto, von ihren Urlaubstagen. Und so bekommen wir von ihr nicht nur Tipps für unsere Reiseroute, sondern auch noch die komplette Story ihrer Odysee gratis oben drauf.

Mittlerweile sitze ich am Ufer des Lake Taupo und schaue dem Sonnenuntergang zu. Vor ein paar Stunden noch sah alles nach Regen aus, doch pünktlich zum Sonnenuntergang hat der Himmel wieder etwas aufgeklart. Grau ist die domininierende Farbe: Graue Kiesel am Strand, graues Wasser, graue Wolken. Hin und wieder bricht die Sonne durch und wirft einen große Strahlen auf das Wasser. Grau erhebt sich am Horizont eine Bergkette: Der Tongariro und seine Ausläufer sind in verschiedenen Schattierungen zu erkennen. Mittlerweile weht ein frischer, angenehm warmer Wind, die Kiesel auf denen ich sitze haben immer noch die Hitze des Tages gespeichert. So denke ich, kann eigentlich jeder Tag ausklingen. Willkommen 2019!

Liebe Grüße aus meinem Happy Place anderen Ende der Welt
Eure Marie